Ich mag Schreiben (sonst wäre ich mit einem Blog nicht besonders gut bestellt). Bisher habe ich auf diesem Blog immer richtige Artikel geschrieben, doch in letzter Zeit hatte ich vermehrt Lust, etwas poetischeres zu schreiben, ein Gedicht oder eine Geschichte. Aus einer Laune heraus und weil einer meiner Neujahrsvorsätze “Ich packe an, wozu ich Lust habe” ist, habe ich heute spontan eine Kurzgeschichte geschrieben. Als ich sie begonnen habe, wusste ich noch nicht, wie sie enden würde. Sie ist während des Schreibens entstanden. Ich glaube, das ist eine gute Übung für mehr Kreativität und weniger Perfektionismus.
Ich hoffe, du hast so viel Spass am Lesen meiner kleinen Geschichte wie ich beim Schreiben hatte!
Die geschenkten dreissig Minuten
Den Wecker hat er auf 7:07 gestellt. Das ist genau eine halbe Stunde später als sonst, denn üblicherweise klingelt der Wecker um 6:37. So reicht es ihm gerade in die Morgensitzung, die jeweils um halb acht beginnt. Er könnte natürlich auch etwas früher aufstehen und den Wecker auf 6:35 oder 6:30 stellen, doch Schlaf ist wertvoll, und zwei Minuten weniger Schlaf pro Arbeitstag summieren sich in zehn Jahren auf 86 Stunden verlorene Schlafenszeit.
Heute beginnt die Morgensitzung aber ausnahmsweise um acht, weil der Geschäftspartner einen langen Anreiseweg hat und der Chef diesem Geschäftspartner freundlicherweise dreissig Minuten mehr Schlaf zugestanden hat.
Deshalb hat er also den Wecker auf 7:07 gestellt und sich gefreut, auch selbst in den Genuss von dreissig Minuten mehr Schlafenszeit zu kommen. Doch offensichtlich hat er vergessen, auch seine innere Uhr umzustellen. Diese scheint nichts von der verschobenen Sitzung zu wissen und veranlasst, dass er trotzdem um Punkt 6:37 von selbst erwacht. Er bleibt noch zwei Minuten liegen, doch der Schlaf hat sich schon aus dem Staub gemacht und es ist unwahrscheinlich, dass dieser in der nächsten halben Stunde nochmals zurückkommen wird. Er seufzt um der verpassten Schlafmöglichkeit Willen, setzt sich im Bett hin und steht um 6:40 auf, drei Minuten später als üblich.
Schlaf ist wertvoll, denkt er sich, doch Zeit für sich selbst ebenso. Da er ja immer so aufsteht, dass es ihm gerade passend zur Arbeit reicht, ist seine Morgenroutine genau durchgetaktet. Der letzte Morgen, an dem er sich vor der Arbeit Zeit für sich selbst genommen hat, ist schon lange her. So lange, dass er sich gar nicht mehr erinnern mag, wann dieser Morgen genau war. Und so freut er sich, dass heute wieder mal so ein Morgen ist. Siebenundzwanzig Minuten hat er noch Zeit ganz für sich.
Statt den allmorgendlich Kaffee auf dem Weg zur Arbeit in der Bäckerei neben der Bushaltestelle zu holen, schaltet der seine italienische Kaffeemaschine ein, wartet, bis sie das Wasser aufgeheizt hat und schaut dann den beiden braunen, duftenden Kaffeefäden zu, wie sie in die Tasse plätschern. Dann setzt er sich an den Küchentisch, schaut aus dem Fenster in den langsam heller werdenden Tag und geniesst seinen Kaffee. Er hätte auch gerne zu Hause gefrühstückt, doch an Arbeitstagen hat er kein Brot zu Hause, denn auch das Frühstücksbrötchen holt er sich immer in der Bäckerei. Und so macht er sich bereit, um zur Bäckerei zu gehen, vierzehn Minuten später als sonst. Die Verkäuferin kennt ihn und scheint etwas verwundert, will sich aber dennoch gerade der Kaffeemaschine zuwenden, um ihm seinen üblichen Kaffee herauszulassen, bevor sie ihm sein übliches Brötchen einpacken würde. Er kann sie gerade noch davon abhalten. Nein, heute keinen Kaffee, er hatte schon einen! Und da er hiermit sowieso schon nicht mehr die übliche Bestellung hätte, entscheidet er sich spontan dazu, sich ein anderes Brötchen auszusuchen. Er hat sich die Auswahl an verschiedenen Brötchen schon lange nicht mehr angesehen.Vor einigen Jahren, als er damit begonnen hat, sein Frühstücksbrötchen in dieser Bäckerei zu kaufen, hat er sich für ein Brötchen entschieden, es hat ihm geschmeckt und am nächsten Tag hat er nochmals dasselbe bestellt. Seit dann war dieses Brötchen sein Frühstücksbrötchen. Doch heute ist ein spezieller Tag, er kann sich Zeit nehmen, sich ein anderes Brötchen auszusuchen. Weil er sich nicht entscheiden kann, verlässt er die Bäckerei mit zwei Brötchen, stellt sich an die Bushaltestelle und beisst in eines hinein. Es schmeckt ihm gut. Ehrlich gesagt schmeckt es ihm besser als sein Standardbrötchen, aber das kann auch daran liegen, dass er heute besonders gut gelaunt ist. Als der Bus kommt, schaut er auf die Uhr und bemerkt, dass er noch immer sieben Minuten Zeit hat. So lässt er den Bus abfahren, dreht sich um und begibt sich auf den Weg zur nächsten Haltestelle. Nach einigen Metern tritt er aus dem Schatten einiger Häuser und spürt die Strahlen der jungen Morgensonne im Gesicht. Die Sonne steht noch sehr tief und blendet ihn. Doch das stört ihn nicht, er geniesst die zarte Wärme der Strahlen, blinzelt etwas und geht weiter. Als er wieder in den Schatten von Häusern tritt, fällt sein Blick auf eine Stelle am Wegrand, wo sich in einem schmalen Spalt zwischen dem Trottoir und einem Mäuerchen ein violettes Blümchen stolz in die Höhe reckt. Es ist ein hübsches Blümchen und er muss unweigerlich lächeln. Als er den Kopf hebt, liegt ihm das Lächeln noch immer im Gesicht und ein älterer Herr, der ihm, auf den Stock gestützt, entgegenkommt, lächelt zurück und wünscht ihm einen guten Morgen. Es ist der Nachbar, den er schon länger nicht mehr gesehen hat und um den er sich ein wenig gesorgt hat. Jaja, im Spital sei er gewesen mit einer Lungenentzündung. Doch nun habe er sich davon erholt und sei seit einigen Tagen wieder zu Hause.
Zwei Minuten Zeit hat er noch. Gemütlich spaziert er zur Bushaltestelle, stellt sich in den schmalen Streifen Sonne und wartet die letzte seiner freien Minuten auf den Bus zur Arbeit, wo er zum Erstaunen seines Chefs und seiner Mitarbeiter den ganzen Tag besonders gut gelaunt ist.
2 Replies to “Eine kleine Kurzgeschichte”
so schön =)
🙂