Aufräumen ist für die meisten Leute nicht gerade die Lieblingsbeschäftigung. Ich mag es ganz gerne, doch lange Zeit bedeutete es für mich eher, die Dinge wieder schön anzuordnen und neu einzuräumen denn loszuwerden. Das ist sicher auch gut, doch eigentlich ginge es doch darum, sich von altem Ballast zu trennen und wieder Platz zu schaffen (allerdings nicht, um diesen Platz dann gleich wieder mit Neuanschaffungen zu füllen!). Damals habe also auch ich nicht wirklich aufgeräumt.
Was ist denn aber das Problem beim Aufräumen? Es ist ein grosser Aufwand, kann emotional, psychisch und physisch sehr fordernd sein – und meist ist das Resultat dann nicht gänzlich befriedigend. Da räumt man drei Tage lang durchgehend auf, und am Schluss ist nur ein kleiner Müllsack gefüllt mit Zeug, das wegkommt.
Ein kleiner Perspektivenwechsel und Trick hilft hier enorm, Aufwand und Ertrag besser ins Gleichgewicht zu bringen. Und es ist erst noch ein viel besseres Gefühl während des Aufräumens selbst.
Um dir die neue Denkweise näherzubringen, machen wir ein Gedankenexperiment:
Stell dir vor, du wolltest in deinem Kleiderschrank aufräumen. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass du genau 10 Kleidungsstücke besitzt. Die kommen also alle raus aus dem Schrank auf einen Haufen und du schaust dir die Stücke alle durch. Nun gibt es zwei Szenarien: Das übliche, nicht ganz befriedigende Nein-Szenario und das neue, befriedigendere Ja-Szenario.
Das Nein-Szenario
Zu jedem Kleidungsstück schreiben wir «nein», wenn du es nicht mehr behalten willst und es weg kann und «ja», wenn du es behältst.
Kleidungsstück | deine Bewertung | behalten (ja) oder nicht (nein) |
1 | gefällt dir gut und trägst du oft | ja |
2 | hat ein Loch, das nicht geflickt werden kann | nein |
3 | passt dir jetzt gerade nicht mehr, aber es könnte sein, dass du da wieder mal reinpassen wirst | ja |
4 | wird selten getragen, aber es ist ein Markenstück und war echt teuer | ja |
5 | hast du mit deiner besten Freundin in Paris gekauft, das sind schöne Erinnerungen, die beim Tragen immer wieder hochkommen | ja |
6 | hast du mit deinem Ex in Paris gekauft, da hängen auch ganz viele Erinnerungen dran. Dieser Ex war ja schon ein A***! Aber während der Reise nach Paris war noch alles ziemlich gut | ja |
7 | war mal der letzte Schrei – vor etwa 30 Jahren | nein |
8 | ist ganz neu und du bist total glücklich, dass du dieses Stück nach langer Suche endlich gefunden hast | ja |
9 | das war ein Fehlkauf, aber gänzlich ungetragen und neuwertig | ja |
10 | ist eigentlich überhaupt nicht dein Stil, aber es war ein Geschenk. Das war ja lieb gemeint und was solltest du sagen, wenn der Schenkende merkt, dass du es entsorgt hast? | ja |
Ziehen wir Bilanz: Stücke 2 und 7 können weg, der Rest wird schön zusammengefaltet und wieder eingeräumt. Von zehn Kleidungsstücken sind also noch immer acht da, nur zwei können weg! Das war ein grosser Aufwand für wenig Platzgewinn.
Das Ja-Szenario
Was ist nun aber ungünstig gelaufen im Nein-Szenario? Du bist von der Sichtweise «Was brauche ich nicht mehr, was kann weg» ausgegangen. Fast immer gibt es einige Stücke, die sicher weg können. Bei vielen gibt es allerdings ein Aber, das macht, dass das Stück dann behalten wird.
Beim Ja-Szenario wechseln wir die Perspektive und sortieren alles aus, was wir sicher behalten wollen, weil es uns gefällt, es uns glücklich macht und schöne Erinnerungen damit verbunden sind. Alles andere geht weg. Insbesondere auch alles mit einem Aber: «Aber das war teuer», «Aber das war ein Geschenk», «Aber das könnte mir vielleicht mal wieder passen». Mach dir bewusst: Es geht hier um den aktuellen Moment. Das Geld kriegst du so oder so nicht wieder zurück (oder vielleicht doch, wenn du das Stück auf einer Börse verkaufst). Das Geschenk gehört jetzt dir und du darfst frei darüber bestimmen – es kommt vor allem auf die Geste des Schenkens an und nicht darauf, alles für immer und ewig aufzubewahren, was du je geschenkt bekommen hast. Das Stück, das dir gerade nicht mehr passt, macht dir vor allem ein schlechtes Gewissen und lässt dich dick fühlen, Freude entsteht damit jedenfalls keine.
Schauen wir uns nochmals denselben Kleiderschrank an, räumen nun aber aus der Ja-Perspektive auf:
Kleidungsstück | deine Bewertung | behalten (ja) oder nicht (nein) |
1 | gefällt dir gut und trägst du oft | ja |
2 | hat ein Loch, das nicht geflickt werden kann | nein |
3 | passt dir jetzt gerade nicht mehr, aber es könnte sein, dass du da wieder mal reinpassen wirst | nein |
4 | wird selten getragen, aber es ist ein Markenstück und war echt teuer | nein |
5 | hast du mit deiner besten Freundin in Paris gekauft, das sind schöne Erinnerungen, die beim Tragen immer wieder hochkommen | ja |
6 | hast du mit deinem Ex in Paris gekauft, da hängen auch ganz viele Erinnerungen dran. Dieser Ex war ja schon ein A***! Aber während der Reise nach Paris war noch alles ziemlich gut | nein |
7 | war mal der letzte Schrei – vor etwa 30 Jahren | nein |
8 | ist ganz neu und du bist total glücklich, dass du dieses Stück nach langer Suche endlich gefunden hast | ja |
9 | das war ein Fehlkauf, aber gänzlich ungetragen und neuwertig | nein |
10 | ist eigentlich überhaupt nicht dein Stil, aber es war ein Geschenk. Das war ja lieb gemeint und was solltest du sagen, wenn der Schenkende merkt, dass du es entsorgt hast? | nein |
Bilanz nach der neuen Art aufzuräumen: Behalten werden nur Stücke 1, 5 und 8, es können also ganze sieben Kleidungsstücke weg! Das gibt viel Platz und ein gutes, befreiendes Gefühl. Denn alles, was irgendwie mit einem schlechten Gewissen oder sonst negativen Gefühlen behaftet ist, ist weg.
Fazit
Diese Beispiele zeigen sehr schön, dass das Leben nicht nur schwarz-weiss ist, dass es mehr gibt als ja und nein. Nicht ja ist eben nicht automatisch nein. Es gibt viele Schattierungen dazwischen und es kommt darauf an, wie diese Schattierungen wahrgenommen werden. Im Fall des Aufräumens ist es ein grosser Unterschied, ob die Zwischenfälle schlussendlich als «ja, behalten» oder als «nein, kann weg» zählen.
One Reply on “Das Nein- und das Ja-Szenario”
Dieser Artikel macht Lust zum Aufräumen 😉
Sehr anschaulich geschrieben, danke!